Wer neu in ein Unternehmen eintritt wird oft zu Beginn in den „Code of Conduct“, die Verhaltensregeln, eingeweiht. Es wird ihm aufgezeigt, wie er Telefonate entgegen zu nehmen hat, eine Mail signieren kann und nach welchen Vorgaben er einen Geschäftsbrief abfassen soll. Ich arbeite im Gesundheitswesen. Hier kommen zu den allgemeinen Regeln zusätzliche Bestimmungen im Patientenkontakt hinzu, wie das Tragen einer Uniform, Auflagen zum Schuhwerk, Schmuck und Haar. Viel wichtiger, so höre ich immer wieder, sei jedoch die Haltung gegenüber unseren Patienten. Ein Lächeln wirke Wunder. Als Christen tragen wir keine Uniformen. Wir haben auch keinen abschließenden Verhaltenskodex vorliegen. Aber die Bibel enthält zahlreiche Aufforderungen und Hinweise zu unserer Lebensführung. Zudem wissen wir, dass unsere Taten der Gesinnung unseres Herzens entspringen.
Die zwei Seiten von Abrahams öffentlichem Leben
Wir werfen einen Blick auf zwei Ausschnitte aus Abrahams Leben, die uns Aufschluss darüber geben, wie ein Christ sein Leben in der Öffentlichkeit führen soll. Es geht um ein Kontrastbild: Im ersten Kapitel wird Abraham wegen einer Halbwahrheit zurechtgewiesen; im zweiten beim Kauf der Begräbnisstätte für Sara ehrfurchtsvoll ein „Fürst Gottes“ genannt. Es sind also zwei Seiten seines öffentlichen Lebens auszumachen:
- Er wurde gedemütigt, als er die Dinge selbst in die Hand nahm.
- Er wurde geehrt, als er demütig als Bittsteller auftrat.
Beide Erfahrungen gehören zu unserem christlichen Leben:
- Wir stehen in der Gefahr, aus Menschengefälligkeit oder Angst vor Konsequenzen einen geradlinigen Weg zu kompromittieren.
- Auf der anderen Seite sind wir dankbar, wenn Dritte unerwartet ein positives Zeugnis über unser Leben ablegen.
Blicken wir nun auf diese beiden Seiten und lassen uns dadurch gleichermaßen zurechtweisen und ermutigen. Bitte lies an dieser Stelle 1. Mose 20 und 1. Mose 23.
1. Wir werden dort gedemütigt, wo wir meinen, die Dinge selber in die Hand nehmen zu müssen.
In welchem Zusammenhang steht die Geschichte in 1. Mose 20? Direkt voran geht der Bericht über Gottes Gericht Sodoms und Gomorras aufgrund der Bosheit ihrer Bewohner. Nun wird das „Zoom“ der Kamera erneut auf Abraham gerichtet. Wir wissen nicht genau, weshalb er in das Gebiet der Philister reiste. Einige haben vermutet, dass er sich während oder nach dem Gericht über Sodom dahin zurückgezogen hatte. Viel wichtiger ist jedoch der Blick auf 1. Mose 21. Sarah stand kurz davor, Mutter des Verheißungsträgers zu werden. Vielleicht war sie während des Aufenthalts in Gerar schon schwanger.
Wir blicken aus drei Perspektiven auf die Begebenheit: Wie wird das Verhalten Abrahams beschrieben? Wie tritt Gott dazwischen? Wie reagierte der heidnische König Abimelech?
Abrahams Verhalten
Abraham war zu diesem Zeitpunkt ein gereifter Mann um die 100 Jahre. Vor allem ist in 1. Mose 15,6 vermerkt worden, dass er durch seinen Glauben ein gerechtfertigter Mensch war, also ein Gläubiger. So erstaunt es zu lesen, dass Abraham ohne zu zögern einen Weg einschlug, den er schon einmal beschritten hatte. Er erweist sich als ein Mensch, der zum wiederholten Mal seinen Fuß an demselben Stein stößt. Aus der Angst heraus gibt er seine Frau Sara als seine Schwester aus. In Ägypten hatte er Jahre früher schon dasselbe Spiel gespielt – mit einem ähnlichen Resultat (1. Mose 12,10ff). Wie damals wurde durch seine falsche Angabe ein verhängnisvoller Prozess in Gang gesetzt. Abimelech ließ die schöne Sara in seinen Palast holen. Abrahams „Gemauschel“ wird zur Gelegenheit zur Sünde der Einheimischen.
Was trieb Abrahm an, nochmals denselben Trick anzuwenden? Er hatte offensichtlich Angst um sein Leben. „Weil ich dachte: Es ist gar keine Gottesfurcht an diesem Ort, darum werden sie mich wegen meiner Frau umbringen!“ (20,11) Abraham schätzte sein Gegenüber gottloser ein, als er war. Noch schlimmer wog sein Verhalten, als er von Abimelech zur Rede gestellt wurde. Er begann sich tatsächlich noch zu rechtfertigen: Sara ist meine Halbschwester. Viel wichtiger wog jedoch die Tatsache, dass sie Ehefrau war! Diese Begründung stand auf sehr wackeligen Füßen. Das dritte Argument, das er einbringt, ist noch schwächer. Sein Vorgehen basierte auf einer alten Abmachung zwischen ihm und Sara. Als ob etwas dadurch richtiger würde, dass man es schon immer so gemacht hat!
Wir stellen also fest: Abraham beging den gleichen Fehltritt wie vor Jahren. Statt diesen zu bekennen, entschuldigte er ihn zusätzlich. Abraham ist unser Vater im Glauben (Römer 4). Sein Vorgehen ist uns eine Warnung. Petrus ermahnte die Gläubigen, die „Freiheit nicht als Deckmantel für die Bosheit zu benutzen“ (1. Petrus 2,16). Wir sollten uns unserer selbst nicht zu sicher fühlen, sondern uns davor fürchten, zu was wir in unserer alten Natur fähig sind.
Gottes Dazwischentreten
Der Heilige Geist lässt die dunklen Stellen im Leben von bedeutenden Gottesmännern nicht aus. Dies war keine rühmliche Szene für Abraham. Viel wichtiger ist jedoch zu verfolgen, wie die Gnade Gottes über den Fehltritt seines Propheten triumphierte.
Gott trat dazwischen, indem er durch einen Traum zu Abimelech sprach. Zuerst äußert er sein Missfallen gegen Ehebruch. „Siehe, du bist des Todes wegen der Frau, die du genommen hast; denn sie ist die Ehefrau eines Mannes!“ (20,3) Ich höre oft das Argument von zeit- und kulturbedingten Anweisungen. Diese Stelle ist ein klarer Beleg dafür, dass Ehebruch durch alle Zeiten und in allen Kulturen eine Sünde darstellte. Sünde ist, das wird ebenfalls deutlich, in erster Linie eine Bruch gegenüber Gott (20,6, „gegen mich sündigst“).
Ebenso fällt auf, dass Gott die Aufrichtigkeit Abimelechs anerkannte. Gott unterschied zwischen einem absichtlich begangenen Verbrechen und einem unabsichtlichen Fehltritt. Trotzdem blieb es eine Sünde, auch wenn sie unbeabsichtigt begangen wurde.
Gottes Dazwischentreten bewirkte, dass Unrecht zurückgehalten wurde. Es hätte viel schlimmer kommen können. Wir können davon ausgehen, dass dies in vielen Situationen in unserem eigenen Leben und auch weltpolitisch bereits der Fall gewesen ist. Wir Menschen hätten uns nämlich schon längst zugrunde gerichtet. Stellen wir uns vor, was hätte passieren können, wenn Abimelech weiter gegangen wäre. Abraham hätte Sara und den Verheißungsträger Isaak verlieren können!
Gott warnte Abimelech vor den Konsequenzen, falls er uneinsichtig sein würde. Zudem verhängte er unmittelbare Konsequenzen: Er verschloss den Körper der Frauen, dass sie nicht mehr gebären konnten (20,17).
Abimelechs Reaktion
Die Ironie dieser Geschichte zeigt sich darin, dass sich der Heide Abimelech weitaus verständiger benahm als der gläubige Abraham! Abimelech warf Abraham zu Recht vor: „Du hättest nicht so an mir handeln sollen.“ (20,9) Das tut weh, einen solchen Satz von einem ungläubigen Heiden entgegen nehmen zu müssen.
Beachten wir den Gegensatz von Abrahams und Abimelechs Verhalten:
- Abraham rechtfertigt sich, Abimelech bezeichnete seine eigene Absicht als große Sünde (20,9).
- Abimelech sorgt als Betrogener für die Wiederherstellung von Abrahams und Sarahs Ruf, indem er ihm eine Schadenersatzzahlung sowie weitere Tiere schenkt. Abraham, der den ganzen Wirbel ausgelöst hatte, wird so zum Empfänger einer Wiedergutmachung.
Wer handelt hier edler? Die Antwort fällt eindeutig auf Abimelech. Trotzdem fällt auf: Gott bezeichnet Abraham nach wie vor als seinen Propheten (20,7). Dies beschreibt seine besondere, vertraute Stellung gegenüber Gott. Trotz seiner Sünde hörte er nicht auf, diese Funktion auszufüllen. Abraham wurde nämlich zum Fürbitter für Abimelech. Täuschen wir uns also über eines nicht hinweg: Für die Stellung vor Gott war Abrahams Glaube und nicht die Tugenden Abimelechs ausschlaggebend!
Was lernen wir aus der Geschichte?
Wir verrechnen uns, wenn wir meinen, uns schon irgendwie „durchwursteln“ zu können. Ebenso machen wir uns etwas vor, wenn wir meinen, Ungläubige hätten kein ethisches Empfinden. Gott kann und wird die Sachlage aufdecken – zu unserer Beschämung und zu seiner Ehre. Es gibt einen besseren Weg des aufrichtigen Bekenntnisses.
Die Hauptlektion besteht jedoch darin: Wir können dankbar sein, dass Gottes Gnade größer ist als unsere halblauteren Absichten! Was für ein Gegenbild stellt Christus dar. Als er erkannte, dass „seine Stunde“ (ein charakteristischer Ausdruck von Johannes) nahte, wich er der Bedrängnis nicht aus. Nein, er liebte die Seinen „bis ans Ende“; er trug alle Konsequenzen dieser Entscheidung (Johannes 13,1).
2. Wir dürfen durch Gottes Gnade dort zu Ehren kommen, wo wir in rechter Haltung unser Leben vor der Welt führen.
Wir spulen nun ein Stück vorwärts in der Lebensbeschreibung Abrahams. Die Darbringung Isaaks liegt hinter uns. Gott hatte den Gehorsam Abrahams getestet und für ein stellvertretendes Opfer gesorgt.
Sara stirbt. 1. Mose 23 ist auch ein Beispiel dafür, wie ein Christ mit dem Tod von Angehörigen umgeht. Er trauert um sie und steht wieder auf (23,2). Wir richten unser Augenmerk jedoch auf Abrahams Verhalten gegenüber den Bewohnern von Hebron. Dabei müssen wir berücksichtigen, dass ein Landkauf damals im Tor eines Ortes unter Zeugen stattfand. Dieses Mal wählte Abraham den rechtmäßigen Weg; damit war eine demütige Haltung verbunden.
Wie schon in 1. Mose 20 geht es um Sara. Beim ersten Mal sorgte sich Abraham um sein eigenes Leben und setzte dadurch das Leben anderer aufs Spiel (20,11; „sie werden mich umbringen“). Die Angst hatte seinen Blick verengt. Vergessen war Gottes souveräne Führung auf seinem bisherigen Weg. Beim zweiten Mal nahm Gott seine Frau weg. Es scheint also, dass Abraham eher im Verlust im Glauben handelte als zu den Zeiten, als er meinte, die Dinge selber regeln zu können!
Drei positive Aspekte fallen im Kontakt Abrahams auf:
Erstens: Abraham bezeichnet sich als Fremdling.
Dieses Mal ist Abraham nicht am Drücker, sondern er ist Bittsteller. Er beginnt mit den Worten: „Ich bin ein Fremdling und Einwohner ohne Bürgerrecht.“ (23,4) Dies ist umso eindrücklicher, als ihm dieses Land zugesprochen worden war! Abraham reklamierte keinen Fußbreit für Lebende, nur einen Platz für die Tote (Matthew Henry). Weshalb trat er so bescheiden auf? Der Kommentar des Hebräerbrief-Schreibers wirft Licht auf dieses Vorgehen. Abraham hatte das Land „nur von ferne gesehen und gegrüßt“ und „bekannt, dass sie Gäste und Fremdlinge auf Erden sind. Wenn sie aber solches sagen, geben sie zu verstehen, dass sie ein Vaterland suchen.“ (Hebräer 11,13-14) Hier finden wir den Schlüssel: Abrahams Blick war nicht verengt auf das Hier und Jetzt, sondern geöffnet für das Dereinst. Darin liegt das Geheimnis des Glaubens: Erst die Gewissheit des Jenseits gibt uns die nötige Gelassenheit im Diesseits.[1]
Zweitens: Abraham bestand auf einer rechtmäßigen Zahlung.
Abraham war ein reicher Mann. Das erste Mal schädigte er den heidnischen König Abimelech und ging materiell als Gewinner aus dem Engpass hervor. Hier bot er den Bewohnern den rechtmäßigen Kaufpreis dar. Beim ersten Mal hatte er Angst, etwas zu verlieren; das zweite Mal verlor er seine Frau und wurde zum Gebenden. Diese Haltung steht dem Christen an: Weil er auf das zukünftige Vaterland setzt, kann er im Jetzt loslassen.
Drittens: Abraham erhielt von den Bürgern des Ortes ein Kompliment.
Die Einwohner nannten Abraham ehrfürchtig einen „Fürst Gottes“. Das fürstliche Verhalten äußerte sich nicht darin, dass Abraham überlegen und fordernd auftrat. Im Gegenteil: Er war der Bittsteller. Er verneigte sich vor den Bewohnern des Landes. Er bemühte sich, aus ihrer Interessenlage heraus zu denken und zu handeln. Dieser ausgesprochen höfliche Umgang hinterließ nachhaltigen Eindruck. Abraham erwies sich gerade in dieser Schwächeposition als würdiger Repräsentant Gottes.
Unser Leben als Fremdling
Kommen wir zurück in die Gegenwart. Unser Leben als Christ spielt sich in einem ständigen Spannungsfeld ab. Rufen wir uns einige Aspekte in Erinnerung:
- Wir gehören zur neuen Schöpfung (2Kor 5,17) und werden Erstlingsfrucht genannt (Jak 1,18). Trotzdem leben wir im gleichen Umfeld weiter. Die gesamte Schöpfung steht unter dem Fluch der Sünde.
- Unser Feind, Satan, ist am Kreuz besiegt worden (Hebr 2,14), jedoch noch nicht beseitigt. Er geht umher und sucht zu verschlingen, wen er kann (1. Petr 5,8).
- Mit Tod und Auferstehung von Jesus Christus ist die letzte Zeit angebrochen; seine Rückkehr und die öffentliche Übernahme der Herrschaft stehen jedoch noch aus.
- Mit der neuen Geburt haben wir ein neues Herz, eine komplett neue innere Schaltzentrale bekommen. Gleichzeitig sind wir noch der Vergänglichkeit unterworfen und noch in der Lage zu sündigen.
- Wir sind für diese sichtbare Welt geschaffen worden; unser himmlischer Vater hat uns dafür passend geschaffen und uns an einen bestimmten Ort und in eine bestimmte Zeit gestellt.
- Wir haben hier keine bleibende Stätte, sondern suchen eine zukünftige (Hebr 13,14). Wir sind Fremdlinge, also nur vorübergehende Aufenthalter.
Abraham lehrt uns, im Umgang mit denen, „die draußen sind“ (Kolosser 4,5) geradlinig nach Gottes Gesetz zu leben. Leider gibt es Momente, in denen uns Nichtchristen beschämen. Abimelech war aufrichtiger und großzügiger als sein Gegenüber. Abraham wählte einen unlauteren Weg und rechtfertigte sich. Frage: Ertappe ich mich selbst in einem ähnlichen Manöver?
Abraham führt uns aber auch eindrücklich vor Augen, dass wir Fremdlinge sind und bleiben. Eine demütige Bittsteller-Haltung steht uns an. Frage: Merkt man mir noch an, dass ich ein Beisasse ohne Bürgerrecht bin, oder gehe ich glatt als Einheimischer durch?
Noch wichtiger als diese Ermahnung ist jedoch die Tatsache, dass Gott beide Male zu seiner Ehre kommt: Das erste Mal durch die Beschämung Abrahams, das zweite Mal durch das ehrenvolle Verhalten. Am Schluss zählt nicht die Tugend Abimelechs, sondern der Glaube Abrahams. Das ist keine Sache des Verdienstes, sondern der göttlichen Gnade.
[1] Es gibt Christen, die sehr stark die Veränderung im Hier und Jetzt betonen. Sie sehen sich als Gottes Mitarbeiter, um Nationen zu heilen. Dieser Triumphalismus scheint mir jedoch eher zur Überschätzung des eigenen Einflusses zu führen. Die Rhetorik wird von der Wirklichkeit eingeholt und wirkt lächerlich.
3 Kommentare
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[…] Das Leben als Fremdling in dieser Welt (1. Mose 20+23) […]
[…] Abraham: Das Leben als Fremdling in dieser Welt. (Januar 2016) […]