Amazing Grace – ein weltbekanntes Lied und sein Autor

von Jonathan Malisi
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„Oh Gnade Gottes, wunderbar hast du errettet mich.
Ich war verloren ganz und gar, war blind, jetzt sehe ich.

Die Gnade hat mich Furcht gelehrt und auch von Furcht befreit
seitdem ich mich zu Gott bekehrt bis hin zur Herrlichkeit.

Durch Schwierigkeiten mancher Art wurd‘ ich ja schon geführt,
doch hat die Gnade mich bewahrt, die Ehre Gott gebührt.

Wenn wir zehntausend Jahre sind in seiner Herrlichkeit,
mein Herz noch von der Gnade singt wie in der ersten Zeit.“

John Newton
(deutsche Übersetzung von Anton Schulte)

Ein weltbekanntes Lied

Diese Liedzeilen sind im Original das wohl bekannteste geistliche Lied in englischer Sprache. Es ist die inoffizielle Hymne der Cree-Nation und wurde sogar von bekannten säkularen Sängern wie Joan Baez (da musst du gegebenenfalls deine Eltern oder Großeltern fragen, wer das war 😉) vertont, weil sie von seiner melodischen und textmäßigen Dichte fasziniert sind und waren. 1971 gehörte es zu den Top Ten der britischen Charts. 2001 wurde es nach den Anschlägen vom 11. September weltweit gesungen – ein Lied mit „steiler Karriere“!

Interessanterweise wurde Amazing Grace zwar 1773 geschrieben, seine heute so bekannte Melodie erhielt das Lied allerdings erst 1835. Fakt ist: Dieses Lied zählt definitiv zu den bekanntesten und meistgesungenen aller Zeiten, gehört für jedes gute christliche Liederbuch zum unverzichtbaren Standardrepertoire und hat (zumindest in der englischsprachigen) Pop- und Mainstreamkultur bleibende Spuren hinterlassen. Weniger bekannt ist tatsächlich, wer es wann, aus welchem Anlass und zu welchem Zweck geschrieben hat; Amazing Grace handelt nicht nur allgemein von der tiefgreifenden Veränderung, die jemand erlebt, der Christ geworden ist, sondern der Autor John Newton selbst gibt Einblick in seine Lebensgeschichte. Denn diese ist unauflösbar mit der Geschichte des Liedes verbunden:

Der Mann hinter dem Lied…[1]

…war verloren ganz und gar, war blind.

Mein Leben war, solange ich wach war, ein Strom der fürchterlichsten Gottlosigkeiten und Lästerungen. Ich wüsste nicht, dass mir schon je ein so tollkühner Gotteslästerer begegnet wäre. Da mir die schrecklichsten Flüche und Verwünschungen noch nicht reichten, ließ ich mir jeden Tag neue einfallen, sodass ich vom Kapitän oft streng getadelt wurde.

John Newton (* 24. Juli 1725 † 21. Dezember 1807) hatte ein, milde ausgedrückt, bewegtes Leben hinter sich. Kurze Zeit nach dem frühen Tod seiner Mutter musste er bereits mit zehn Jahren (!) zur See fahren und arbeitete sich über die Jahre bis zum Kapitän hoch. Doch davor hatte er immer wieder Anstellungen als Matrose verloren, da er sich entweder nicht an vertragliche Abmachungen und Fristen hielt oder weil er es sogar fertigbrachte, die Mannschaft eines Schiffes gegen den Kapitän aufzubringen. John Newton war jemand, dessen Lebenseinstellung und -stil deutlich zeigten, dass er mit Gott nichts tun haben wollte.

…wurde von Gottes Gnade Furcht gelehrt und auch von Furch befreit.

Im Frühjahr 1748 überlebte Newton einen schweren Sturm, in dem sich das Schiff befand, auf dem er als Passagier mitfuhr. Die Reise von Westafrika zurück nach England war gefährlich. Der Mann, der bis dahin keine Angst gekannt und stattdessen als Sklavenhändler andere das Fürchten gelehrt hatte, fürchtete sich vor Gottes Gericht. Im Lauf dieser Reise las er das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32) und erkannte sich und seinen Erlöser darin; John Newton war Christ geworden und drückte das erstaunlich nüchtern aus:

Um diese Zeit wurde mir klar, dass es einen Gott gibt, der Gebete erhört.

Einige Jahre nach seiner Bekehrung und dem sich nach einiger Zeit anschließenden Ausstieg aus dem Sklavenhandel wurde er Pastor und verkündete zuerst in Olney und dann in einem Stadtteil Londons das Evangelium von Jesus Christus – die Botschaft, die ihn von Furcht freigemacht hatte.

…hatte Schwierigkeiten mancher Art durchlebt.

Doch Newton hatte nicht nur anderen Schwierigkeiten verursacht, sondern war auch immer wieder selbst in verschiedenste geraten; im Nachhinein erkannte er in ihnen, wie ein gütiger Gott ihn bewahrt hatte und lernte als Gläubiger, diesem Gott bereits dann zu vertrauen, während er durch diese Schwierigkeiten ging:

  • Als Newton sechs Jahre alt war, verstarb seine gläubige Mutter, die ihn tief geprägt hatte. Sie war es, die ihm als Kind die Bibel und den Kleinen Westminster Katechismus abgefragt hatte. Sie war es, die ihn mit in eine kleine Gemeinde nahm und sich von Herzen wünschte, dass er Pastor werden würde. Von seinem Vater wurde er nicht annähernd so gefördert und unterrichtet wie er es von seiner geliebten Mutter gewohnt war; ihr Verhältnis war von Anfang an bestenfalls ein angespanntes.
  • Im Jahr 1754 hatte er seine Beteiligung am Sklavenhandel aufgegeben, eine finanziell einschneidende Erfahrung. Aber über die Jahre konnte er diese Tätigkeit irgendwann nicht mehr mit seinem Glauben vereinen.
  • Sechs Jahre lang kämpfte Newton ab 1758, um als Pastor ordiniert zu werden – während dieser Zeit erhielt er immer wieder Absagen unter fadenscheinigen Gründen. 1764 war es dann so weit und er konnte seinen Dienst in der Gemeinde St. Peter and St. Paul in Olney beginnen.

Rückblickend dankte er Gott in seiner Autobiografie, dass er von Ihm vor beinahe tödlichen Unfällen, in gefährlichen Schiffshavarien und anderen Unglücken doch immer wieder auf wunderbare Art und Weise bewahrt wurde (beim Lesen dieser Berichte überkommt einen schon fast ein Schauer, wenn Newton diese Ereignisse manchmal beinahe beiläufig erwähnt). Unter anderem deshalb war er vielen seiner Zeitgenossen als „Enthusiast“ und „Methodist“ verschrien; denn damals blickte die Mehrheit der Pastoren in der Amtskirche abschätzend auf die Methodisten herab, die so eindringlich zu Bekehrung und lebendigem Glauben aufriefen und sich auch trauten, von ihrem persönlichen Glaubensweg mit Gott zu berichten.[2]

…und seine letzten Worte.

Beeindruckend ist, wie Newton sich zum Ende seines Lebens selbst sah; er gehörte zu den Menschen, die sich um die Abschaffung der Sklaverei im Britischen Königreich verdient gemacht hatten. Viele Menschen hatten sich durch seine Predigten bekehrt. Er war sogar eine angesehene Person der Londoner Gesellschaft geworden. Doch überraschenderweise lauteten seine letzten überlieferten Worte, eine Woche vor seinem Tod am 21. Dezember 1807:

Mein Gedächtnis ist fast dahin, aber ich erinnere mich an zwei Dinge: dass ich ein großer Sünder bin und dass Christus ein großer Erlöser ist.

Darum verfügte er, dass folgende Inschrift auf seinem Grab angebracht würde:

John Newton,
einst ein Ungläubiger und Wüstling,
ein Diener von Sklaven in Afrika,
wurde durch die reiche Barmherzigkeit unseres Herrn und Erlösers Jesus Christus
bewahrt, wiederhergestellt, begnadigt
und eingesetzt, den Glauben zu predigen, den zu zerstören er sich lange bemüht hatte.

Zum Weiterlesen

Turner, Steve: Amazing Grace John Newton und die bewegende Geschichte seines weltbekannten Liedes, Gießen 2009 (sehr interessante Ausführungen zu Theologie und Wirkungsgeschichte Newtons und seines Liedes)


[1] Für eine umfassende Darstellung von Newtons Leben lohnt es sich, die unten empfohlenen Bücher zu lesen; in diesem Artikel fehlt einfach zu viel Spannendes und geistlich Lehrreiches aus seinem bewegten Leben mit Gott. Dazu gehört auch Newtons Kampf und Engagement gegen die Sklaverei, wofür er dezidiert biblische Gründe und Argumente angeführt hat.

[2] Newton selbst war ironischerweise kein Methodist. Stattdessen blieb er entschieden und bewusst ein Pastor in der Anglikanischen (Staats-) Kirche.

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