Tiefer graben – eine Buchempfehlung

von Tanja Bittner
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Nigel Beynon, Andrew Sach. Tiefer graben. Werkzeuge, um den Schatz der Bibel zu heben. Augustdorf: Betanien, 2019. 176 S. Euro 11,90.

Diese Rezension wurde zuerst in Glauben und Denken heute 2/2019 (gudh) veröffentlicht.
Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.

Nun gut, schließlich versteht jeder die Bibel etwas anders (und das ist auch in Ordnung so) … – Wem ist eine solche Behauptung nicht schon begegnet? Normalerweise ist damit dann auch jedes ernsthafte Ringen um das Verständnis des jeweiligen Bibeltexts beendet. Zu Ende gedacht bedeutet diese Haltung, dass man der Bibel keine allgemeingültigen Aussagen entnehmen kann. Man kann lediglich wahrnehmen, was sie mir heute sagen will. Vielleicht ist es morgen für mich schon etwas anderes, und für Dich vermutlich sowieso … Mit dem Verweis auf dieses leider wohlbekannte und typisch postmoderne Symptom begründen die Autoren die Wichtigkeit der behandelten Thematik (S. 9­–11). Völlig zu Recht! Es ist kaum möglich, die Bedeutung sachkundiger Hermeneutik (der Lehre von den Auslegungsprinzipien) zu überschätzen. Wenn man diese Regeln ignoriert, kann man in die Bibel letztendlich so gut wie alles hinein- oder herauslesen. Selbst Ehebruch, Mord oder Betrug: Es ist nicht schwer, einige Verse herauszupicken, die das zu rechtfertigen scheinen (und vermutlich gibt es auch nur wenig, das in der Hinsicht nicht schon in der Geschichte dagewesen wäre). Aus diesem Grund sollte jeder Bibelleser ein gewisses Grundwissen darüber besitzen, wie angemessene Auslegung funktioniert. Das wird ihm beim eigenen Bibellesen größere Sicherheit geben, dass er die Dinge richtig verstanden hat. Darüber hinaus wird es ihm aber auch helfen, gute von sonderbarer Auslegung zu unterscheiden. Und genau diese Informationen liefert Tiefer graben. Den Autoren gelingt es, mit ihrer „Werkzeugkiste“ ein solides Grundwissen der Bibelauslegung zu vermitteln. Wer diese Werkzeuge verinnerlicht hat, muss sich nicht mehr „von jedem Wind einer Lehre bewegen und umhertreiben lassen“ (Eph 4,14).

Besonders beeindruckt hat mich die gute Lesbarkeit von Tiefer graben. Die Autoren beweisen, dass Hermeneutik nicht als trockene Theorie daherkommen muss. Sie verstehen es, ihre Werkzeuge anhand passender Vergleiche und mit Hilfe von Anekdoten anschaulich zu vermitteln – und dabei doch keineswegs oberflächlich. Natürlich wird die Verwendung jedes einzelnen Werkzeugs an biblischen Beispielen demonstriert. Währenddessen fordern sie den Leser immer wieder durch Zwischenfragen zum Mitdenken heraus. Am Ende jeden Kapitels gibt es unter dem Stichwort „Grabe tiefer!“ die Gelegenheit, das eben erarbeitete Werkzeug gleich selber auszuprobieren. Man kann Tiefer graben problemlos interessierten Jugendlichen in die Hand drücken, aber auch erwachsene Christen werden es mit Gewinn lesen.

Im Lauf des Buches bekommt der Leser insgesamt 16 Werkzeuge an die Hand, mit deren Hilfe er sich Bibeltexte sachgemäß erschließen kann:

Das beinhaltet zuallererst die Frage nach der Absicht des Autors (Werkzeug 1). Falls sie im jeweiligen Bibelbuch nicht ausdrücklich genannt ist (vgl. Lk 1,1–4), kann man sie herausfinden, indem man auf Hinweise achtet (wie die Situation der Briefempfänger, ein dominierendes Thema, o. Ä.).

Die Bibel ist eher mit einer großen Erzählung als mit einem Lexikon vergleichbar. Deshalb ist die Frage nach dem Kontext (Werkzeug 2) wichtig. Denn Bibeltexte befinden sich nicht im luftleeren Raum, sondern stehen in einem bestimmten Sinnzusammenhang, der entscheidend dafür ist, wie ein Vers zu verstehen ist – und wie nicht.

Aufschlussreich kann es auch sein, darauf zu achten, was bestimmte Bindewörter (Werkzeug 4) im Text bewirken. An diesen kleinen und leicht zu überlesenden Wörtchen (z. B. „denn“, „darum“, „damit“) wird deutlich, ob ein (Neben-)Satz beispielsweise als Begründung funktioniert oder vielleicht eine Folge aufzeigt.

Werkzeug 8 leitet dazu an, mehrere verschiedene Bibelübersetzungen zu verwenden. Das kann helfen, der ursprünglichen Bedeutung besser auf die Spur zu kommen. Auf jeden Fall sollte dabei eine relativ wortgetreue Übersetzung miteinbezogen werden. Übertragungen können dort helfen, wo dieser Text schwer verständlich ist. Die Verständlichkeit der Übertragungen geht allerdings auf Kosten der Genauigkeit, so dass wiederum der Abgleich mit einer wörtlicheren Übersetzung nötig ist.

Werkzeug 13 macht darauf aufmerksam, dass nicht jeder biblische Bericht automatisch eine Aufforderung zur Nachahmung bedeutet (bei Davids Ehebruch sollte das schnell klar sein, aber bei Gideons Vlies?). Es ist sorgfältig zu klären, ob die Bibel „nur“ beschreibend berichtet oder ob sie etwas vorschreibt.

Bei Werkzeug 14 geht es darum, sich bewusst zu machen, an welcher Stelle der Heilsgeschichte der Text verortet ist und wo andererseits wir stehen. Auch damit können kräftige Fehlschlüsse vermieden werden.

Besonders sympathisch war mir auf Anhieb Werkzeug 15: Das „Wer bin ich?“-Werkzeug wirkt gegen das „Ich-bin-Mose-Syndrom“, nämlich unsere Tendenz, uns unmittelbar mit der Hauptfigur einer Erzählung zu identifizieren. Das kann zwar manchmal richtig sein, muss es aber nicht zwangsläufig. Immerhin füllten Mose & Co. einzigartige Rollen in Gottes Heilsgeschichte aus: Niemand von uns ist am brennenden Dornbusch damit beauftragt worden, Gottes Volk aus der Sklaverei Ägyptens zu führen. Einem derartigen Text werden wir nicht gerecht, wenn wir solche Begebenheiten kurzerhand als „Metapher für unsere Psycho-Erfahrungen“ in unsere persönliche kleine Welt herüberholen (im Stil von: Welche Brennender-Busch-Erfahrungen hast du schon erlebt? S. 146–147).

Der Leser bekommt mit diesem kleinen Buch also eine gefüllte Werkzeugkiste an die Hand, um die Schätze der Bibel zu heben. Da die Autoren die Verwendung der Werkzeuge jeweils gleich an Bibeltexten demonstrieren, gibt es aber bereits beim Lesen von Tiefer graben solche Schätze zu entdecken. Quasi nebenbei begegnet der Leser einer beachtlichen Fülle an biblischen Wahrheiten und Einsichten. Beispielsweise, wenn anhand von Röm 1,14–18 gezeigt wird, wie wichtig es ist, das Bindewort „denn“ zu Anfang von Vers 18 nicht zu übersehen (S. 88–89): Weil gottlose Menschen unter Gottes Zorn stehen, brauchen sie Rettung. Menschen können die Botschaft unserer Evangelisationen nicht verstehen, wenn wir ihnen nicht mitteilen, wovor sie gerettet werden müssen (und natürlich ist es keine gute Idee, die Thematik eigenmächtig abzuwandeln in eine Erlösung aus der Einsamkeit oder von der inneren Leere).

Abschließend sei noch erwähnt, dass auch die grafische Gestaltung des Covers wirklich gelungen ist: eine liebevoll gezeichnete Schatzkarte mit Wimmelbild-Flair. Selbst hier lohnt es sich, genauer hinzusehen – und noch viel mehr natürlich beim Bibelstudium.

Tiefer graben sei also jedem Bibelleser als überaus nützliche Werkzeugkiste ans Herz gelegt – ein wertvolles Buch mit starkem Inhalt, das sich auch gut verschenken lässt!

Das Buch kannst du hier günstig kaufen.

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