Schon mal eine Geschichte gelesen, die dich einfach nur geflasht hat? So ein Gänsehautmoment wie in Avengers Endgame, als Tony Stark den Handschuh anzieht und dann die unsterblichen Worte: „Ich bin Ironman.“ (Sorry für den Spoiler!) Aber so ging es mir mit der Kurzgeschichte Acht Kühe für eine Frau von Patricia McGerr (1965)[1]. Bevor du mit den Augen rollst, lass mich erklären.
Der blanke (Rinder)Wahnsinn
Die Geschichte spielt auf einer imaginären Inselgruppe im Südpazifik: Johnny Lingo ist sowohl stark als auch klug; darum ist er einer der besten Jäger und scharfsinnigsten Händler auf seiner Insel Nurabandi. Johnny ist nicht nur eine angesehene Führungspersönlichkeit, sondern auch reich. Natürlich geht es (wie sollte es auch anders sein?) um ein Mädchen namens Sarita, das auf einer der Nachbarsinseln lebt. Sie ist nicht hässlich, aber – wie sie einer der Einheimischen beschreibt – „wenn man sagen würde, sie hätte ein schlichtes Aussehen, dann wäre das ein Kompliment“. Sie ist sehr dünn, läuft mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf umher. Aber aus Gründen, die wahrscheinlich nur Dichter (und Gott) verstehen würden, ist Johnny unsterblich in dieses Mädchen verliebt und will sie heiraten.
Auf diesen Inseln ist es nun so, dass man einen Brautpreis an den Vater der Braut zahlt. Für zwei bis drei Kühe bekommst du ein nettes Mädchen. Für vier Kühe kriegst du auf jeden Fall ein „Upgrade“. Leg noch eine Kuh obendrauf und du hast die Inselschönheit… und vielleicht noch einen Speer und einen Kanister Benzin. Wieviel zahlt Johnny Lingo für Sarita? Zum absoluten Schock aller bezahlt Johnny Lingo ACHT Kühe für Sarita – viermal so viel wie sie in den Augen der Inselbewohner wert wäre: Der blanke (Rinder)Wahnsinn. Warum? Eigentlich ganz einfach. Johnny Lingo will, dass Sarita weiß, dass sie für ihn acht Kühe wert ist.[2]
Natürlich verbreitet sich das wie ein Lauffeuer auf all den umliegenden Inseln und so kommt eines Tages eine Besucherin auf Johnny Lingos Insel. Natürlich hat sie die Geschichte gehört und will unbedingt diese sagenumwobene Frau sehen. Als erstes trifft sie nur Johnny im Haus an. Dann aber kommt Sarita dazu. Hier ist was sie schreibt: „Gerade dann betrat Sarita den Raum, um Blumen auf den Tisch zu stellen. Sie stand einen Moment lang still, um ihren Mann anzulächeln, und ging dann wieder.“ Ein einziger Augenblick war alles, was die Besucherin brauchte, um festzustellen: „Sie war die schönste Frau, die ich je gesehen habe. Wie sie ihrer Schultern hob, wie sie ihr Kinn nach oben streckte, und wie ihre Augen funkelten – sie war eine Frau voller Selbstvertrauen und Stolz. Es war kein arroganter und hochmütiger Stolz, sondern eine selbstbewusste innere Schönheit, die sich in jeder ihrer Bewegungen zeigte.“
Werde, wozu Gott dich berufen hat
Am Ende ist Sarita zu der Person geworden, die Johnny von Anfang an gesehen hatte – Sarita wurde zu einer „Acht-Kühe-Ehefrau“. Sie ist dem Ruf von Johnny gefolgt – und wandelte würdig in ihrer Berufung.
Seht ihr, Gott hat uns durch Jesus Christus von unserer Sünde, Tod und Satan gerettet – damit wir jetzt Ihm allein gehören. Und Er fordert uns auf: „Folge mir nach – und werde, wozu ich dich berufen habe!“. Denn der Ruf Jesu lautet nicht: „Sei die Person, die du bist!“ (das ist der Ruf der Welt). Sondern vielmehr: „Werde die Person, die du in Christus bist.“ Wir sind wie Sarita: von außen betrachtet gibt es nichts Bemerkenswertes oder Schönes an ihr[3]. Gott rettet uns nicht, weil wir irgendwie liebenswürdig wären. Es gibt keinen Grund, warum Gott uns hätte zuerst lieben sollen. Aber genau das hat Er getan: Purer Wahnsinn.
Welchem Ruf sind wir einst gefolgt? Die Bibel ist im Brief an die Epheser (Eph 2) diesbezüglich sehr ehrlich: Dem Ruf der Welt, des Satans, und unserer sündhaften Begierden (V.1-3). Was war unsere Identität damals? Wir waren „Kinder des Zorns“ (V.3). Wer sind wir jetzt? Wir sind „mit dem Christus lebendig gemacht worden“ (V.4). Er selbst ist unsere neue Identität. Und unsere Berufung? „Denn wir sind sein Gebilde, in Christus Jesus geschaffen zu guten Werken, die Gott vorher bereitet hat, damit wir in ihnen wandeln sollen“ (V.10).
Und das zeigt uns etwas sehr, sehr Wichtiges: Berufung beginnt nicht damit, was wir tun:
„Denn aus Gnade seid ihr gerettet … nicht aus Werken, damit niemand sich rühme.“
Eph 2,8-9
Das schwingt ganz oft mit, wenn Leute sowas sagen wie: „Er hat seine Berufung als Lehrer/ zum Missionar gefunden…“ Als ob das auf der Straße rumliegt und wir darüber stolpern (oder nur richtig suchen müssten). Paulus würde sagen: Unfug! Berufung – genauso wie sein herrliches Evangelium auch – beginnt nicht mit uns oder mit dem, was wir erreichen oder schaffen könnten. Sondern Berufung beginnt damit, wer wir sind. Doch wer sind wir? Wir sind
„die Geheiligten in Christus Jesus“
1 Kor 1,2
Darum sagt Jesus Christus: „Bleibe nicht so wie du bist. Du bist ein Sünder – ich aber habe dich gerettet. Nun bist du ein Heiliger – darum lebe auch so! Werde, wozu Gott dich berufen hat!“ Oder in den Worten des Apostels Paulus:
„Wandelt würdig der Berufung, mit der ihr berufen worden seid“
Eph 4,1
Allein Sein Ruf verändert alles. Allein Sein Ruf verändert uns. Aber noch sind wir nicht wie Christus – doch wir werden es sein, denn das ist unsere Bestimmung (Röm 8,28-29). Folglich ist der Ruf Christi unsere höchste Berufung – das ist, wenn man so will, Inhalt und Ziel unseres Lebens. Wie genau wir das tun ist von Person zu Person unterschiedlich. Aber wer wir sind beeinflusst was wir tun. In der reformierten Tradition spricht man von der primären und der sekundären Berufung. Auf Deutsch sind das genau die zwei Aspekte, die wir eben betrachtet haben: wer wir sind (primär) und was wir tun (sekundär). Ich habe das mal versucht in zwei Abbildungen darzustellen. Wenn ihr sie jetzt nicht sofort versteht: keine Sorge – wir werden die nächsten Male näher darauf eingehen 😉
[1] Ich bin auf die Geschichte durch Dave Harveys „Rescuing Ambition“ gekommen. Die Kurzgeschichte könnt ihr auf Englisch hier nachlesen: https://daveoakesseminars.com/8-cow-wife/
[2] Diese Interpretation stammt von Dave Harvey, der diese Geschichte in seinem Buch „Rescuing Ambition“ (Crossway, 2010) auf wunderbare Weise auslegt. Gänsehaut.
[3] Dieser Vergleich hinkt ein bisschen, denn tatsächlich sind wir nicht nur nicht schön, wir sind geradezu verabscheuungswürdig (siehe Jes 64,6 oder Sach 3,3): Sünder zu sein bedeutet, in verschmutzten Lumpen zu leben.