Lernen bedeutet: Über unser Denken nachdenken zu lernen

von Hanniel Strebel
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Lernen als notwendiges Übel

Lernen hat – außer für einige ehrgeizige Streber und sozial isolierte Brillenträger – einen negativen Anstrich. Wenn ich unter meinen Arbeitskollegen herumhöre, dann bedeutet es: Geld in die Hand zu nehmen, Abende zu opfern, das Erlernen des Stoffes bis zum letzten Moment hinauszuschieben und dann einige Wochenenden und Nächte durchzupauken. Lernen ist notwendiges Übel zum Erreichen eines nächsten (beruflichen) Schrittes: Denn wer rastet, rostet.

Doch haben wir uns schon mal über die Denkvoraussetzungen, die uns zu dieser Einschätzung des Lernens führen, Gedanken gemacht? Da es sich um ein „gesellschaftliches Dogma“ handelt, also einen kollektiven Konsens, wird dies kaum der Fall sein. Schließlich haben viele von uns diese Einstellung zum Lernen während unserer Bildungskarriere in Schule und Studium mit aufgesogen und übernommen.

Wir denken nicht über das Denken nach

Das ist es ja: Für jede Bewegung, die unser Körper ausführt, werden dafür komplexe, im Hirn gespeicherte Informationen abgerufen. Dies geschieht ohne Nachdenken. Wir handeln aus Gewohnheit – zum Glück. Unser Leben würde höchst anstrengend werden, wenn wir uns morgens erst überlegen müssten, wie wir uns drehen, ein Bein vor das andere stellen, uns aufsetzen und uns erheben.

Drei gesellschaftliche Gegebenheiten halten uns davon ab, über das Denken nachzudenken:

  1. Zuerst tragen wir unser vermeintliches Gehirn in unserer Tasche mit uns herum: Wenn wir einen Ort suchen, ein Wort übersetzen wollen, ein medizinisches Fachwort nicht verstehen oder nach den neusten News scrollen wollen: Wir ziehen unser Smartphone aus der Tasche. Dabei lassen wir unberücksichtigt, dass wir zum Einordnen der unzähligen Impulse einen dahinterstehenden Rahmen für das Denken benötigen. Unsere „innere Schaltzentrale“ ist entsprechend programmiert.
  2. Zweitens nehmen wir uns als Resultat dieser unmittelbaren Verfügbarkeit eines unendlichen Meeres von Wissen kaum Zeit, über unsere Grundprogrammierung nachzudenken. Es erscheint uns als überflüssig, weil es ja funktioniert. Wir finden unsere (geografischen) Ziele, wir können das Fremdwort übersetzen. Und wir haben unseren News-Feed.
  3. Drittens und am kritischsten ist jedoch eine andere Tatsache: Wir erlernen (fast) nur sozial Erwünschtes. Wir scheuen den Aufwand, über etwas nachzudenken und nachzuforschen, was uns bei anderen keinen unmittelbaren Gewinn bringt. Das betrifft sogar das akademische Arbeiten. Es gibt eine Bandbreite des sozial Erwünschten. Die meisten Forscher bleiben innerhalb dieser Bandbreite, weil sie Karriere machen wollen.

Christsein bedeutet, einen anderen Zugang zum Denken zu bekommen

Paulus schreibt davon, dass jeder Mensch Gott durch die Schöpfung „denkend wahrnehmen“ kann (Römer 1,20). An einem anderen Ort spricht er über seinen Kampf gegen Irrlehrer; diese Auseinandersetzung findet auf der Ebene des Denkens statt. Er möchte die Gedanken „gefangen nehmen unter den Gehorsam des Christus“ (2. Korinther 10,5). Wenn er der Gemeinde in Rom die Konsequenzen ihrer neuen Identität in Christus vor Augen führen will, dann spricht er von einer Erneuerung des Denkens. Dabei spricht er von einer bewussten inneren Bereitschaft der Christen für Gottes Wirken. Diese vollzieht sich über die Zeit und führt dazu, dass wir Unterscheidungsvermögen dafür entwickeln, was Gott wohlgefällig ist (lies Römer 12,1-2 und vergleiche mit Hebräer 5,14).

Das bedeutet, dass ein Christ ein Bewusstsein dafür bekommt, dass es wesentlich ist, über seine „inneren Stellschrauben“ (einige haben sie Denk-Voraussetzungen genannt) nachdenken zu lernen. Nun fragt man sich: Führt das zu einem frommen Intellektualismus?

Rechtes Denken befruchtet rechtes Handeln

Vor einigen Tagen musste ich morgens als Seminarleiter an einen bestimmten, mir unbekannten Ort in einer fremden Stadt. Ich hatte das Smartphone zu Hause liegen lassen (tja, das kommt davon, wenn man es nicht mehr in der Hosentasche trägt) und fragte einige Schüler nach dem Weg. In der Eile hielten wir das Smartphone in die falsche Richtung und ich landete vor einer vollen Moschee statt im gesuchten Gebäude. Was will ich damit sagen? Wer mit den falschen Koordinaten unterwegs ist, kann endlos gehen. Auf unsere Fragestellung übertragen: Ich erlebe viele Christen, die immer wieder betonen, dass das Handeln das Wichtigste sei. Manchmal frage ich mich jedoch, ob sie damit nicht ihren Unwillen, nachzudenken, überdecken möchten. Ich vergleiche solche „Tat-Christen“ mit Fachpersonen, die seit Jahren keine Fachausbildung mehr absolviert haben und sich mit der Vorstellung begnügen, ihre Handlungsabläufe entsprächen den neusten Anforderungen. Umgekehrt gilt aber auch:

Rechtes Handeln korrigiert rechtes Denken

Vielleicht gilt dies, was ich jetzt sage, besonders für reformatorische Kreise: Rechtgläubiges Denken ersetzt rechtgläubiges Handeln nicht. Es ist keine Entschuldigung, den Ort zu kennen und nicht hinzugehen. Wer so lebt, entwöhnt sich nämlich vom rechtgläubigen Handeln. Er gerät in eine eigene „Kunstwelt“ und verliert den eigentlichen Zweck des Denkens: Gott durch entsprechende Handlungen zu ehren. Sehr anschaulich hat dies Jakobus in seinem Brief (2,15-16) beschrieben:

„Wenn nun ein Bruder oder eine Schwester ohne Kleidung ist und es ihnen an der täglichen Nahrung fehlt, und jemand von euch würde zu ihnen sagen: ‚Geht hin in Frieden, wärmt und sättigt euch!‘, aber ihr würdet ihnen nicht geben, was zur Befriedigung ihrer leiblichen Bedürfnisse erforderlich ist, was würde das helfen?“

Gott mit unserem Verstand lieben

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir Christen zuerst unsere Denkvoraussetzungen überprüfen müssen. Manche dieser inneren Einstellungen sind unbewusst von der säkularen Umgebung programmiert worden. Hier einige Fragen zum Über-Denken vor Gott und einem guten Freund:

  • Bist du eher denkfaul (und wenn ja, in welchen Bereichen)?
  • Funktionierst du nach der Maxime „nur das lernen, was sozial erwünscht ist“?
  • Welche sind deine Strategien, um dich vor mutigem Handeln zu schützen?
  • Welche neue Denkgewohnheit willst du mit Gottes Hilfe etablieren?

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3 Kommentare

Aufsatz: Über unser Denken nachzudenken lernen – Hanniel bloggt. 24. September 2018 - 12:28

[…] Josia – Truth for Youth schreibe ich eine Serie zum Thema Lernen. Die erste Folge ist jetzt […]

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Sokrates 28. September 2018 - 23:31

„Nur das lernen, was sozial erwünscht ist.“
Ein interessanter und wichtiger Gedanke. Er trifft gerade besonders gut auf diverse christliche Kreise zu. Der Mensch sucht das, was er gewöhnt ist, z.B. die Art und Weise wie er an die Bibel oder zu Gott selbst herangeht. Oder wie sich andersdenkende Christen und Gemeinden begegnen. Ich bin überzeugt, dass wir dazu noch viel lernen und beitragen können, um auch das zu lernen, was unter vielen Christen sozial unerwünscht ist.
Danke für diesen Beitrag!

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Aufsatz: Die Beteiligten jedes Lernprozesses – Hanniel bloggt. 18. Oktober 2018 - 10:39

[…] Josia – Truth for Youth schreibe ich eine Serie zum Thema Lernen. Ich begann mit Lernen bedeutet: Über unser Denken nachdenken zu lernen. Jetzt geht es weiter mit der Überlegung, wer an einem Lernprozess beteiligt ist. Wir […]

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