Jesaja 9,1-6: Gottes Licht in der Finsternis

von Cornelius Thies
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Wir schreiben das Jahr 1839. Im Rauhen Haus in Hamburg hat der Pfarrer Johann Hinrich Wichern ein Heim für Waisenkinder und Obdachlose eingerichtet. Wie jedes Jahr vor Weihnachten fragen die kleinen und großen Bewohner immer wieder, wann es denn soweit sei. Doch dieses Jahr hat Pfarrer Wichern etwas Besonderes vorbereitet. Auf einem großen Wagenrad hat er 28 Kerzen angebracht, 24 kleinere rote und vier große weiße. In den vier Wochen vor Weihnachten soll jeden Werktag eine weitere rote Kerze entzündet werden, an den Sonntagen eine von den weißen. So soll das Warten auf Weihnachten in der Adventszeit greifbarer und nachvollziehbarer werden. So entstand der erste Adventskranz – noch ohne Tannengrün, dafür aber mit umso mehr Kerzen. Heute lassen wir quasi die „Werktagskerzen“ weg und beschränken uns auf die „Sonntagskerzen“, aber Kerzen und Adventskranz gehören für viele doch einfach dazu. Das ist in dieser dunklen Jahreszeit ja auch gemütlich und verbreitet eine nette Stimmung. Aber ist das alles? Oder können uns die Kerzen und das Licht der Adventskränze noch weiter weisen?

Gottes Volk sieht im Dunkeln

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt.

Jes 9,1-2

Licht und Finsternis – dieser Gegensatz kommt im ersten Vers ganz klar zum Vorschein. Es gibt ein Volk, das von Finsternis und Dunkelheit umgeben ist und dann plötzlich Licht sieht, von Licht umstrahlt wird. Der Prophet Jesaja hat diese Worte im Auftrag Gottes an das Volk Israel gerichtet. Und so kann es für das Verständnis des Textes hilfreich sein, zu schauen, wie die Dunkelheit bei Israel aussah. Davon lesen wir in den letzten Versen von Jesaja 8, die wir auch in der Textlesung gehört haben. Jesaja wirkt in einer Zeit, in der Gottes Volk in das Nordreich Israel und das Südreich Juda geteilt ist. Seine Botschaft richtet sich hauptsächlich an das Südreich Juda, aber auch an das Nordreich, welches während seines Prophetendienstes als Strafe für seine Gottlosigkeit in die assyrische Gefangenschaft geführt wird. Juda ist zwar noch im eigenen Land, wird von Jesaja aber immer wieder gewarnt und auf Gottes Strafe für Ungehorsam hingewiesen. Denn das Volk scheint ernsthaft in der Gefahr zu stehen, sich nicht an seinen Gott und dessen Weisungen zu halten, sondern stattdessen Totengeister und Beschwörer zu befragen. Dieses Verhalten wird das erste Mal am Ende von Vers 20 mit Finsternis in Verbindung gebracht, wo als Resultat verkündet wird, dass denjenigen, die so handeln, „kein Morgenrot scheinen wird“. Und wo kein Morgen ist, da ist noch Nacht – Finsternis eben. Die Situation wird dann weiter so beschrieben, dass Hunger herrschen wird und die Menschen daher sowohl ihren König als auch Gott verfluchen werden. Diese Beschreibung endet mit den düsteren Worten: „und sie werden über sich blicken und unter sich die Erde ansehen und nichts finden als Trübsal und Finsternis; denn sie sind im Dunkel der Angst und gehen irre im Finstern.“ Was für eine tragische Situation: Weil die Menschen sich von Gott entfernen und lieber auf andere Mächte als auf ihn hören, werden sie von Dunkelheit quasi umfangen, von unten, von oben, von überall.

Und dann wird im Vers 23 ganz plötzlich angedeutet, dass die Finsternis ein Ende findet, dass es nicht für immer dunkel bleiben muss. Gottlosigkeit, Hunger, Angst, Orientierungslosigkeit – und nun auf einmal: Hoffnung? Licht? Wie soll das gehen?

Dieses Thema wird in den Versen 1 bis 6 von Jesaja 9 dann wieder aufgegriffen und weiter entfaltet: Licht in der Finsternis. Zur Bekräftigung wird diese Hauptaussage im Vers 1 gleich zweimal wiederholt. „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht“ – erste Wiederholung. Und dann kommt dieselbe Aussage in anderen Worten: „und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.“ Wie es dazu kommt, ist damit immer noch nicht gesagt, aber nach den düsteren Versen in Kapitel 8 sind diese Worte doch auf jeden Fall wohltuend.

Gottes Licht führt zu freudigem Jubel, …

Das aufstrahlende Licht bleibt nicht ohne Wirkung, wie wir in Vers 2 lesen. Der Vers sprudelt fast über vor lauter Jubel, Freude und Fröhlichkeit. Von wem geht das aus? Jesaja sagt: „Du weckst lauten Jubel“, während er davor in Vers 1 von dem Volk in der dritten Person gesprochen hat. Das „Du“, das den Jubel weckt, muss also eine andere Person sein und der Zusammenhang legt nahe, dass es Gott selbst ist. Gott weckt lauten Jubel und schenkt Freude. Die Art und Qualität der Freude wird anhand von zwei Bildern verdeutlicht und mit der Freude bei der Ernte und beim Beuteverteilen verglichen. Beides ist für uns heute weitestgehend aus dem Alltag verschwunden und daher eher wenig anschaulich. Aber damals waren das sicherlich die Freudentage im Jahr. Das Einbringen der Ernte stand für den Fortbestand des Lebens, das Sicherstellen der Versorgung für ein weiteres Jahr und war in einer landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft Anlass für Freudenfeste für alle. Ebenso gehörten auch Kriegszüge zur Erfahrungswelt von Jesajas Zeitgenossen und sie konnten sich gut vorstellen oder auch persönlich daran erinnern, welcher Ruhm und Reichtum mit einem siegreichen Feldzug einhergehen können. Statt von Ernte und Beute hätte Jesaja heute vielleicht gesagt: wie bei einem 6er im Lotto, oder wie beim Fall der Berliner Mauer vor 30 Jahren. Oder für die Fußballfans unter uns: wie 2014, als Deutschland die Weltmeisterschaft gewonnen hat. Es wird deutlich: Die von Gott ausgelöste Freude ist nicht einfach nur ein „Das ist aber schön…“, sondern ein begeisterter von Herzen kommender fröhlich-freudiger Jubel.

Die Frage nach dem „Wie“ ist damit aber immer noch offen. Sie wird nun in den nächsten Versen 3 bis 6 beantwortet, die jeweils mit einem „Denn“ beginnen.

Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians. Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt. Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; 6 auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er’s stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des HERRN Zebaoth.

Jes 9,3-6

Habt ihr es gemerkt? Dreimal „denn“, drei Begründungen für den Jubel und die Freude. Hier werden also drei Auslöser für die Freude im Vers 2 genannt und damit wird zugleich erklärt, wie Licht in die Finsternis kommt. Im Vers 3 geht es um Freiheit, in Vers 4 um Frieden und in den Versen 5 und 6 um ein Kind und einen König. Diese drei Begründungen wollen wir uns jetzt genauer anschauen.

… indem Gott Freiheit schenkt

Als erster Auslöser für Jubel und Freude wird Freiheit aufgeführt. Und diese Freiheit wird vor allem als Gegenteil von Knechtschaft beschrieben. Während die Freiheit eigentlich nur in dem kleinen Wörtchen „zerbrochen“ steckt, malt der Rest des Verses die Knechtschaft als ein drückendes Joch und den Stock eines Treibers aus. Aber indem diese Zeichen der Knechtschaft zerbrochen werden und damit ein Ende finden, entsteht Freiheit. Was mag das für die Zuhörer Jesajas bedeutet haben? Ein drückendes Joch haben eigentlich Tiere getragen und diese wurden mit Stöcken zur Arbeit angetrieben. Wenn das nun in bildhafter Sprache auf Menschen übertragen wird, ist das ziemlich demütigend. Da in den Kapitel 8 und 9 keine Zeitangaben enthalten sind, können wir nicht genau bestimmen, wann genau Jesaja diese Worte an das Volk Juda gerichtet hat und wie dessen Situation aussah. Aber da Kapitel 7 in der Zeit von König Ahas prophezeit wurde (nicht der bekannte israelitische König, der mit Elia aneinandergeraten ist, sondern der König von Juda), könnte man annehmen, dass auch die nachfolgenden Kapitel in diese Zeit sprechen. Und das würde ganz gut passen, denn in 2. Chronik 28 wird berichtet, wie Ahas als gottloser König regierte. Weiter wird dort geschildert, wie Gott seine und des ganzen Volkes Gottlosigkeit dadurch strafte, dass sie von feindlichen Armeen bedrängt und immer wieder besiegt worden. So kamen die Aramäer, d.h. die Syrer, besiegten die jüdische Armee und führten viele Judäer als Gefangene fort. Dasselbe passierte mit dem Brudervolk Israel, welches in Juda einfiel und wiederum Gefangene nahm. Dann kamen die Edomiter, dann die Philister und immer wieder verlor Juda im Kampf und einige Bewohner wurden gefangen genommen. Knechtschaft? Nicht frei sein? Das war für diese Menschen dann eine ganz reale und existentielle Erfahrung. Was für eine wunderbare und hoffnungsvolle Verheißung müssen Jesajas Worte für diese Menschen gewesen sein. Ihre Hoffnung wurde sicherlich dadurch genährt, dass sie als Volk immer wieder die Erfahrung gemachten hatten, dass Gott von Unterdrückung und Knechtschaft befreit und erlöst hatte. Denn das war ein Teil ihres Erbes, ihrer nationalen Geschichte, man denke nur an die Zeit der Sklaverei in Ägypten, wo der „Stecken des Treibers“ wahrscheinlich nicht nur ein Bild, sondern brutale Realität war. Und dann hatte Gott sie durch Mose mit mächtiger Hand, Zeichen und Wundern aus Ägypten herausgeführt. Ähnlich war es auch immer wieder zur Zeit der Richter, worauf in Vers 3 auch noch einmal Bezug genommen wird, wenn vom „Tage Midians“ die Rede ist. Damit wird auf die Geschichte von Gideon angespielt, welcher von Gott als Richter berufen wurde, als sein Volk von den Midianitern bedrückt und geknechtet wurde. Mit Gottes Hilfe konnte Gideon die Midianiter schlagen und besiegen und das Volk somit befreien – Gott hatte das drückende Joch der Knechtschaft durch Gideon zerbrochen.

Können wir diese Erfahrungen auf uns übertragen? Gibt es etwas, das uns gefangen nimmt und uns die Freiheit raubt? Wo sind wir Knechte? Im politischen Sinn trifft das auf uns nicht wirklich zu und dafür können wir Gott sehr dankbar sein. Aber im übertragenen Sinn erleben auch Menschen im „freien Deutschland“ Knechtschaft und Unfreiheit: Menschen sind gefangen vom Kommerz und ihrem Wohlstand, vom Streben nach immer mehr – gerade auch in dieser Advents- und Vorweihnachtszeit, wo Geschenkekaufen für Viele das beherrschende Thema ist. Menschen sind gefangen vom Leistungsdruck, in der Schule, im Studium, im Beruf. Überall muss man funktionieren, möglichst immer 100 Prozent Leistung bringen, oder am besten noch ein bisschen mehr. Damit einher geht dann oft die unterschwellige Angst, den Anforderungen nicht zu genügen, die Angst vor der Zukunft, die Angst vor Versagen. Da wünschen wir uns doch auch Freiheit, oder? Gefangensein können wir aber auch von unseren Gefühlen und Wünschen: Wenn andere uns enttäuscht haben, an uns schuldig geworden sind und wir daher voller Frust und Ärger sind, vielleicht auch nachtragend, so kann sich das auch für uns wie ein drückendes Joch anfühlen. Aber auch wenn wir selbst schuldig geworden sind an Gott und unseren Mitmenschen, ja, wenn wir immer wieder schuldig werden, dann kann uns diese Sünde bedrücken. Wir können tatsächlich auch gefangen sein in falschen Verhaltensmustern, die Gott nicht gefallen. Doch es gibt Hoffnung, denn in unserem Predigttext lesen wir davon, dass Gott das drückende Joch, die Jochstange und den Stecken des Treibers zerbrochen hat. Ist das dann nicht ein Grund zum Jubel und zur Freude? Ist das dann nicht Licht in der Finsternis?

… indem Gott Frieden schenkt Nach diesem ersten Auslöser für Jubel und Freude wird in Vers 4 ein zweiter genannt, nämlich Frieden. So wie Freiheit im letzten Vers bildhaft als Ende von Knechtschaft beschrieben worden ist, wird Frieden hier bildhaft als das Ende von Krieg beschrieben. Stiefel, die mit Gedröhn einhergehen, stehen für marschierende Soldaten und auch der durchs Blut geschleifte Mantel erinnert an Krieg und Schlachtfeld. Aber beides, Stiefel und Mantel, werden verbrannt und existieren nicht mehr. Mit dem Verschwinden der Kriegsutensilien wird auch der Krieg beendet und Frieden kann einziehen. Angesichts der eben geschilderten Situation zur Zeit von König Ahas, die von Krieg geprägt war, muss auch diese zweite Verheißung auf offene Ohren bei dem Volk gestoßen sein und ein tiefes Bedürfnis getroffen haben. Nach über 70 Jahre Frieden in Deutschland können wir diese Erfahrung und diese Situation wiederum nicht 1 zu 1 auf uns übertragen. Krieg ist für die meisten von uns etwas aus einer anderen Zeit oder aus anderen Teilen der Erde. Aber so wie beim Thema Freiheit und Knechtschaft würde ich auch bei Frieden und Unfrieden nicht sagen, dass es uns nicht betrifft. Nur wiederum auf einer anderen Ebene. Denn Unfrieden oder Streit kennen wir ja doch auch in vielen Beziehungen: angefangen in der eigenen Familie, über Nachbarschaft, Schule und Arbeit bis hin zur Gemeinde. Wo Menschen zusammen sind, gibt es keine vollkommene Harmonie; stattdessen scheinen Streit und Unfrieden fast dazuzugehören. Gott gefällt das nicht, wir lesen z.B. in Psalm 133: „Wie fein und lieblich ist’s, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen!“ oder in Galater 5, wo Paulus unter anderem vor Zank und Zwietracht warnt. Aber auch wir selbst leben letztlich nicht gern in Streit und Unfrieden, sondern leiden darunter, wünschen uns Frieden. Und wenn Gott solchen Frieden wie in Vers 4 beschrieben schenkt, ist das ein zweiter Grund zum Jubel und zur Freude, ist das ein zweiter Lichtstrahl in der Finsternis.

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