Hiob liegt in Zimmer 4

von Martin Apitz
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“Und es geschah eines Tages, als seine Söhne und Töchter im Haus ihres erstgeborenen Bruders aßen und Wein tranken, da kam ein Bote zu Hiob…“

Hi 1,13

“Und es geschah” – in ein paar Minuten wurde Hiobs Leben zerstört; ohne Vorwarnung, ein Tag wie jeder andere. Und es blieb nicht bei einer schlechten Nachricht: Besitz, Familie, Freunde und zuletzt seine eigene Gesundheit – alles wurde Hiob genommen. Bitte lese dir diesen Text einmal genau durch. Lebe ihn durch. Erfahre dich selbst in Hiobs Situation. Du stehst morgen auf, frühstückst, dein Lieblingslied läuft im Radio, die Sonne scheint dir auf die Nase. In der Schule, Beruf oder Studium läuft es gut – es ist Wochenende. Dann ein Anruf: Autounfall. Vater, Mutter, die zwei Geschwister. Ein direkter Aufprall – keine Chance mehr. Wie würdest du reagieren? Wie würdest du weiterleben? Wir gehen noch einen Schritt weiter: Die Tragödie hat deine Magenverstimmung noch verschlechtert. Nun kannst du seit Tagen nichts mehr essen. Die ständige Übelkeit und das Völlegefühl machen dich fertig. Du entschließt dich, Hilfe zu suchen. Bei einer Magenspiegelung wird etwas Verdächtiges gefunden: Magenkrebs. Die Operation ist hinfällig genug. Über Prognosen wollen die Ärzte nicht reden – zu jung bist du für dieses Schicksal, und die Prognose zu schlecht. Ich frage dich nochmal: Wie würdest du reagieren? Wie würdest du weiterleben? Die Krankheit und knappe Finanzen zwingen das Studium zum Abbruch. Freunde wissen nicht, wie sie mit dir umgehen sollen, sind peinlich berührt und wenden sich ab. Die Chemotherapie führt zu langem Erbrechen, Haarausfall, entzündeter und juckender Haut. Deine Nieren sind arg beschädigt. Weitere Operationen werden folgen. Deine besten Freunde sind das Krankenhauspersonal und Timmy, dein Teddybär.

Pause. Denke noch einmal an das Wochenende von vorhin zurück. „Und es geschah“. Wir haben es schwer, Hiobs Leiden richtig zu erfassen. Auf der einen Seite sind wir gar abgestumpft und können vor lauter Leid in Nachrichten und Filmen nicht mitleiden, andererseits halten wir es für so extrem, dass es konstruiert sein muss – und verlieren dabei selbst die nackte Realität aus den Augen.

„Aber strecke doch einmal deine Hand aus und taste alles an, was er hat; laß sehen, ob er dir dann nicht ins Angesicht absagen wird!“

Hi 1,11

Wie viel zum Leben setzt du einfach so voraus? Schau dich um: Wärme des Hauses, das Essen, die Familie und Freunde begleiten dich dein Leben lang. Von welcher Drangsal reden wir meistens und was fordert unseren Glauben am meisten heraus? Eine schlechte Note, ein verletzender Kommentar, enttäuschte Erwartungen an den Liebling, eine abgewiesene Bewerbung. Wir verfluchen Gott dabei und verleumden seine größeren Gnaden, die er uns jeden Tag gibt. Wir verfluchen Gott in dem Moment, wo er uns größeren Segen schenkt – und nennen die enttäuschte Befriedigung unseres sündigen Herzens „Drangsal“ und den Verlust von Kleinigkeiten „Trübsal“.

Liebe Leser, diese Anklage steht für uns alle. Solange es uns gut geht, ist Glauben sehr einfach. Aber wenn wir nichts mehr haben außer Christus und die Hoffnung in Ihm; wie stark ist dann der Glaube und wie groß die Ehre für Gott?

Wenn auf dem Nachttisch neben dem Krankenbett noch immer die Heilige Schrift liegt, zerfranst vom vielen Blättern. Wenn sich das Krankenhauspersonal und auch die wenigen Freunde wundern, wie du in einer solchen Misere lächeln kannst, frohen Mutes bist, und du deine Freunde trösten musst! Wie Christus bist du dann am stärksten, wenn du am niedrigsten erscheinst. Christus verkündigte Seine wichtigsten Worte am Höhepunkt Seines Leidens am Kreuz: „Es ist vollbracht!“

So auch du, wenn du beharrst im Glauben und im Trost, auch im Tal des Todesschattens. Denn Gott ist mit dir. Ja noch mehr: Er wollte es so. Das größte Wunder im Neuen Testament ist nicht in Kanaan, nicht am See Genezareth und nicht in Galiläa geschehen, sondern auf Golgatha. Gepeinigt, geschlagen, verleugnet, gekreuzigt. Die nackte Realität von Sünde und Tod wird uns am Kreuz gezeigt – und ebenso der größte Trost, den wir haben können.

Der gesamten Schrift ist es eigen, Gottes Ehre durch Leiden am größten darzustellen. Ob Hiob, David, die verfolgten Propheten oder Christus selbst; der Höhepunkt erscheint für uns Menschen als Tiefpunkt. Stellen wir uns das obige Beispiel vor, könnte niemand verstehen, dass ein allmächtiger und liebender Gott dir das willentlich angetan hat! Aber doch könnte es die tiefste Zeit mit dem Herrn sein: mit den Augen auf das Ewige gerichtet, verschwindet unnützes Geschrei und lösen sich Probleme auf; der Beruf, der davor das Leben einnahm, wird nichtig. Alte Schulden werden beglichen. Es ist, als ob du aufwachst, nicht aus einem Traum, sondern aus dem Alltag. Jedes Gebet könnte nun wirklich das letzte sein, jedes Wort aus der Schrift nun wirklich das letzte. Das ändert fast alles. Ich bin immer wieder verwundert, wie still und friedlich sterbende Menschen über die Gänge wandeln.

„Nackt bin ich aus meiner Mutter Leib gekommen, und nackt werde ich dahin zurückkehren; der HERR hat gegeben, und der HERR hat genommen, der Name des HERRN sei gepriesen!”

Hi 1,21

Es ist Gnade zu erkennen, wie wertvoll Christus ist. Auch wenn Status, Beruf, Freundschaften und die eigene Gesundheit vernichtet werden, wir haben Ihn. Ja, er umgibt uns. Ja, darum sind wir Ihm dankbar, umso mehr, je mehr wir diese Wahrheit erkennen. Du wirst zu ihm gehen, das ist sicher. Ja, Er ist schon zu dir gekommen.

Nun bist du eingeschlafen. Die Sonne scheint dir auf die Nase – in das Zimmer 4 der Intensivstation. Die Ärzte haben alles versucht. An deine Freundlichkeit und Freude werden sie sich noch lange erinnern. An dein „Guten Morgen!“ in der morgendlichen Visite, an dein Lächeln und noch mehr an deine Hoffnungen, die du immer wieder hattest: „Ich werde bei Ihm sein!“ Es ist ein ruhiger Tag, ein sonniger Tag. Wer deine Geschichte hört, wird sie kaum glauben können; wer von deinem Zeugnis hört, hoffentlich schon. Unter all den Tränen gibt es Raum für ein Lächeln. Für den Mediziner ist es der Exitus letalis – der tödliche Ausgang. Für uns hingegen ist es der Eingang in das Land der Lebendigen.

Welche Torheit für die Welt folgt daraus? Wenn ich mich auf Hiobs Spuren wiederfinde, sollte ich Gott nicht verfluchen, sondern Seinen Sohn darin suchen,

„um ihn zu erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden, indem ich seinem Tod gleichgestaltet werde, ob ich auf irgendeine Weise hingelangen möge zur Auferstehung aus den Toten.”

Phil 3,10

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2 Kommentare

christ-ian 4. November 2014 - 16:57

Danke für diesen Text. Er hat mich sehr bewegt.

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Josefina Schneider 9. November 2014 - 16:32

Ich danke Gott für dich.

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