Einige werden sich beim Lesen mit Sicherheit über den Titel dieses kurzen Artikels wundern. Warum muss Gottes Wort denn charakterisiert werden? Ein möglicher Grund für diese Charakterisierung ist meine Annahme, dass jeder Mensch dies ohnehin schon unbewusst tut. Ein weiterer Grund ist meine Überzeugung, dass wir verstehen sollten was das Wort Gottes ist, bevor wir erörtern können, was es eigentlich sagt.
Ein Beispiel soll helfen, zu verstehen, was ich meine. In der vergangenen Woche hörte ich ein Gemeindemitglied unserer Gemeinde über die Bibel als „Gottes Liebesbrief an uns“ sprechen. Beim Nachdenken darüber wurde mir klar, dass eine solche Aussage alle Annahmen dieser Person über die Bibel auf den Punkt bringt. Es war eine wörtliche Formulierung ihrer Charakterisierung der Schrift: ein Liebesbrief von Gott an uns. Nun ist es so, dass wir einen Liebesbrief anders lesen als ein Märchenbuch. Menschen, die behaupten die Bibel enthalte nur Mythen, werden die Schrift mit Sicherheit anders auslegen als Menschen, die in ihr einen großen Liebesbrief Gottes vermuten. Das folgt einer sehr generellen Regel: Was eine Sache ist, bestimmt was wir mit dieser Sache tun.
Ich denke, dass die Antworten auf zwei miteinander verbundene Fragen über Gottes Wort uns in unserer Bibellese ungemein helfen werden: Was ist das Wort Gottes und wofür ist es da?
An dieser Stelle möchte ich meine Antworten auf beide Fragen vorwegnehmen und dann im Nachhinein darlegen und erklären:
Gottes Wort ist das Bundeswort von Gottes Selbstmitteilung in Jesus Christus mit dem Ziel, die ganze Welt mit seinem Lobpreis zu erfüllen.
Die jeweiligen Teile dieses längeren Satzes werde ich jetzt erklären:
Was ist das Wort Gottes?
Gottes Wort – Was bedeutet es, dass Gott spricht? In 2. Petrus 1,21 lesen wir, dass der menschliche Wille nie selbst eine „Weissagung“ hervorgebracht hat. Im Namen Gottes haben Menschen nur dann gesprochen, wenn sie vom Geist erfüllt waren. Das heißt, dass Gott nicht einfach menschliche Rede über sich anerkennt. Gott spricht selbst, wenn Propheten und Apostel sprechen.
Bundeswort von Gottes Selbstmitteilung – Was passiert wenn Gott spricht? 1. Johannes 1,3 beschreibt, was Gottes Wort tut: „Was wir gesehen und gehört haben, das verkündigen wir auch euch, damit auch ihr mit uns Gemeinschaft habt; und unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus.“ Gottes Wort stiftet Gemeinschaft zwischen allen erlösten Menschen und dem Dreieinigen Gott.
In der Bibel ist die Gemeinschaft Gottes mit den Menschen aber nicht formlos. Gott selbst hat einen bestimmten Rahmen für diese Gemeinschaft geschaffen: den Bund. Der Bund zwischen Gott und den erlösten Menschen wird in der sogenannten „Bundesformel“ zusammengefasst: „Ich will ihr Gott sein und sie sollen mein Volk sein“ (z.B. in Jer 31,31-34). Gott stiftet Gemeinschaft durch sein Wort in Form des Bundes. Somit ist es Gottes Bundeswort. Gleichzeitig teilt Gott nicht einfach nur Informationen mit. Indem Gott Gemeinschaft zwischen sich und den Menschen durch sein Wort stiftet, teilt er vor allem sich selbst mit. Schlussendlich geht es ja darum, dass er unser Gott wird und wir sein Volk werden.
In Jesus Christus – Gottes Bundeswort von seiner Selbstmitteilung ist im Leben, Sterben und Auferstehen von Jesus Christus vollkommen. Während sich dieses Bundeswort durch die Geschichte hinweg von Adam an entfaltet hat, findet nicht nur das Bundeswort selbst, sondern auch die Geschichte ihren Höhepunkt in Jesus Christus (vgl. Hebr 1,1-3; 2. Kor 1,20). Gott teilt sich uns in Jesus Christus mit. Gleichzeitig ist Gottes Bundeswort somit eine einheitliche Botschaft von Gottes Bundesgemeinschaft mit den Menschen in Jesus Christus. Die ganze Schrift handelt von ihm (Luk 24,27).
Wofür ist das Wort Gottes da?
Mit dem Ziel die ganze Welt mit seinem Lobpreis zu erfüllen – Während Gottes Wort nur durch Propheten und Apostel gesprochen wurde, ist es in der Bibel verschriftlicht worden, die nun unser Zugang zu dem Bundeswort von Gottes Selbstmitteilung ist. Dabei lehrt uns Psalm 2, dass Gottes Herrschaft sich über die ganze Welt erstrecken wird. Diese Hoffnung von Gottes Volk wird in Offenbarung 21-22 wahr: Alle Menschen werden Gott anbeten und die ganze Welt wird mit seinem Lobpreis erfüllt sein. Die Kirche ist dazu bestimmt, Menschen in die Gemeinschaft mit Gott zu rufen und ihnen das Bundeswort von Gottes Selbstmitteilung zu verkündigen.
Das ist der Charakter der Schrift: in ihr begegnen wir Gott, weil er sich uns in seinem Bundeswort selbst mitteilt und Gemeinschaft stiftet. Sie ist nicht bloß ein Liebesbrief, in welchem Gott seine Gefühle für uns ausdrückt. Durch sein Wort tut Gott etwas: Er macht uns zu seinem Volk und wird selbst unser Gott.
Wenn wir nun die Schrift als das erkennen, was sie ist (sie richtig „charakterisieren“), dann lesen wir sie auch richtig. Wenn du also das nächste Mal deine Bibel in die Hand nimmst, dann denke daran, dass Gott sich dir mitteilt. Derjenige, der das Universum erschaffen hat und alles erhält, will dein Gott sein. Die Verheißungen der Bibel gelten dir, wenn du in diese Gemeinschaft trittst und ein Teil seines Volkes wirst.
(Viele Ideen, die in diesen Artikel eingeflossen sind stammen aus Scott Swain, Trinity, Revelation, and Reading: A Theological Introduction to the Bible and its Interpretation. New York: T&T Clark, 2011; Eine dringende Empfehlung für alle, die auch gerne auf Englisch lesen!)
2 Kommentare
Einen Liebesbrief als „nur Gefühle mitteilen“ zu charakterisieren, finde ich zwar etwas flach; ein wirklich wunderbarer Liebesbrief stiftet ja auch Gemeinschaft, und ist immer auch Selbstmitteilung. Aber der Artikel war treffsicher und punktgenau! Vielen Dank 🙂
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