Heiligung und Rechenschaft – Teil 1

von Benjamin Tom
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Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich über lange Strecken meines Christseins ziemlich allein unterwegs war. Das meine ich natürlich nicht äußerlich. Äußerlich habe ich sonntags den Gottesdienst besucht, war auch öfters in der Bibelstunde, in Hauskreisen, in der Jugendstunde sowieso und hab Vieles von dem mitgenommen, was im christlichen Bereich angeboten wird. Noch dazu habe ich zahlreiche Konferenzen, Freizeiten und auch mal eine Kurzbibelschule besucht. Innerlich muss ich aber ehrlich sagen, dass ich allein geblieben bin mit meinem Herzen. Wenn ich mich recht erinnere, war da niemand, der mir jemals konkret die Frage gestellt hat: Wie geht’s dir eigentlich gerade mit dem Herrn Jesus?

Wenn ich mir das Christentum mal etwas aus der Distanz anschaue, dann stelle ich Folgendes fest: Wir als Christen im 21. Jahrhundert sind viel damit beschäftigt, über Gemeinde zu reden, wir hören viele Predigten, wir können die spannendsten Seminare besuchen. Via Internet und Fernsehen steht uns der Weg zu den tollsten Zeugnissen, beeindruckendsten Lobpreiskonzerten und vielem mehr offen. Wir sind die Generation von Christen, die mehr Möglichkeiten hat als je zuvor. Wir haben also eine Fülle an Möglichkeiten und trotzdem erleben wir wenig von der Fülle der Gnade Gottes (Johannes 1,16) und erleben (nach meiner subjektiven Wahrnehmung) auch wenig durchschlagendes Wachstum in der Heiligung. Woran liegt das? Ich bin der Meinung, dass es unter anderem an einem Mangel an Rechenschaft liegt.

Dazu eine Anekdote aus meinem Leben: Und zwar musste ich in meinem Bachelorstudium viele wissenschaftliche Arbeiten schreiben. Ich weiß nicht, wie es euch mit wissenschaftlichen Arbeiten geht, aber das war für mich teilweise recht zäh, die zu schreiben. Es gab 4 Projektarbeiten, die ich größtenteils eigenverantwortlich angefertigt habe. Mit der Abgabe wurde es da öfters etwas hektisch, sodass ich in mancher Nachtschicht kurz vor Schluss noch versuchen musste, herauszuholen, was herauszuholen war. In der Bewertung lag ich immer so bei Note 2, aber nie besser. Dann, bei der Bachelorarbeit, bekam ich 2 Betreuer an die Seite gestellt. Gleich schon beim ersten Treffen mit dem einen Betreuer wurde mir gesagt: „Herr Tom, sie bekommen keine Verlängerung“ und wir vereinbarten, dass wir uns in regelmäßigen Abständen treffen, wo ich dann berichten sollte, wie es mit dem Schreiben so vorwärts geht. Auf einmal war ich eben nicht mehr nur eigenverantwortlich. Es gab noch jemanden, der draufgeschaut hat, der von mir Rechenschaft gefordert hat. Und ich muss sagen, das hat mir sehr gut getan. Ich bin dadurch in ein konzentriertes Schreiben hineingekommen und konnte so Note 1 in dieser Abschlussarbeit erreichen. Das habe ich nicht allein mir zu verdanken, das habe ich auch den Leuten zu verdanken, die einfach nachgefragt haben und natürlich in erster Linie Gott. Was ich jedoch gelernt habe, ist: Rechenschaft hilft mir, mein volles Potenzial zu entfalten.

Genauso ist es beim Christsein. Auf uns alleine gestellt können wir unser volles Potenzial niemals erreichen. Wir sind Gemeinde, um durch Gottes Gnade aneinander zu arbeiten, um in jedem das Maximum an Christusähnlichkeit hervorzubringen und dabei spielt Rechenschaft eine Schlüsselrolle.

Rechenschaft – das ist ein altes Wort, und doch bin ich überzeugt, dass der Christ im 21. Jahrhundert Weniges nötiger hat als Rechenschaft. Beim Christsein ist Rechenschaft deutlich mehr als ein psychologischer Trick. In Hebräer 4,13 [NGÜ] steht: „Kein Geschöpf ist vor Gott verborgen; alles liegt offen und ungeschützt vor den Augen dessen da, dem wir Rechenschaft geben müssen.“ Wir sind verantwortlich vor Gott. Gott wird eines Tages bei uns nachfragen: Was hast du mit deinem Leben gemacht? Was hast du mit dem Potenzial gemacht, das ich in dich hineingelegt habe? Was hast du mit der Fülle der Gnade gemacht, die Ich dir angeboten habe? Es wäre ungünstig, wenn wir dann erst vor Gottes Thron über diese Fragen nachdenken. Wie weise wäre es da, wenn wir hier auf Erden schon damit beginnen, Rechenschaft zu üben, vor Gott und Menschen. Ich bin überzeugt davon, dass Rechenschaft zu mehr Wachstum führen wird.

Angenommen wir würden uns im nächsten Gottesdienst 5 Minuten Zeit nehmen, um unsere Sünden in der Stille vor Gott zu bekennen. Vermutlich würde die Atmosphäre etwas ernster werden, wir alle würden uns neigen und wir alle würden von leichter Trauer berührt anfangen zu Gott zu beten. Etwas ganz anderes wäre es aber, wenn der Pastor euch auffordern würde innerhalb von 5 Minuten eure Sünden der letzten Woche auch vor dem Sitznachbarn zu bekennen. Dann wäre die Situation nicht nur ernst, sondern hochenergiegeladen. Bei uns allen würde der Puls hochgehen, Angst befällt unser Herz, wir laufen rot an, die Hände werden schwitzig. Das ist eigentlich komisch, oder? Vor dem Herrn der Welt können wir zu Hause in der Einsamkeit ohne zu zucken unsere Sünden bekennen, aber vor irgendeinem kleinen Menschen würde uns das Bekennen völlig aus dem Konzept bringen. Ich glaube zutiefst, dass wir deshalb Rechenschaftsmomente vor Gott schon hier auf Erden und in der Anwesenheit von Menschen nötig haben.

Rechenschaft bedeutet für mich, mein Herz, also mein inneres Leben, offen und transparent vor Gott und voreinander zu machen.

In einem Männerhauskreis begannen wir darüber zu sprechen, wie es uns wirklich geht. Auf Grundlage von Jakobus 5,16 haben wir angefangen, unsere Sünden voreinander zu bekennen. Das gibt der Gemeinschaft eine unglaubliche Tiefe. Es gibt Leute in meinem Umfeld, die kennen meine Sünden. Damit meine ich jetzt nicht nur meine äußerlich sichtbaren Verfehlungen, sondern die wissen, was in meinem Herzen vorgeht, wo ich zu kämpfen hatte in letzter Zeit. Dieser Gedanke erfüllt mich nicht mit Angst oder Scham, sondern ist sehr befreiend. Es war für uns selbst krass, uns auf diese Ebene einzulassen, aber wir sind einmütig zu dem Ergebnis gekommen, dass niemand von uns diesen „Ort“ der Offenheit, der Ehrlichkeit voreinander und vor Gott missen möchte. Die Bibel sagt, dass wir Kinder des Lichts sind (1.Thess 5,5). Da, wo wir beginnen, das Dunkle in uns ans Licht zu bringen, da scheint dieses Licht Gottes megastark. Diese Offenheit voreinander führt dazu, dass man nicht mehr allein mit seinem Herzen ist, vor Allem auch mit den Abgründen, die da noch so vorhanden sind. Durch die geistliche Gemeinschaft erfahren wir im Hauskreis immer wieder, wie Gott in die Dunkelheit hineinkommt.

Rechenschaft kann uns helfen, unsere radikale Sündhaftigkeit zu erkennen und uns voll Demut in Gottes Gnade fallen zu lassen, sodass Christus mehr und mehr unser einziger Ruhm wird.

Ein Jünger Jesu Christi zu sein bedeutet ein Schüler des Herrn zu sein. Wenn wir Schüler sind, heißt das, dass wir zielgerichtet von Jesus und, weil Jesus in uns ist, voneinander lernen sollen. Effizient lernen können wir nicht ohne Rechenschaft.

Rechenschaft, das ist deutlich mehr als Sünden bekennen. Rechenschaft heißt auch, wir beginnen uns gegenseitig zu fördern. Geistliche Förderung im biblischen Sinne umfasst mehrere Aspekte:

  • Ermutigung (1. Thess 5,11)
  • Ermahnung / Zurechtweisung (Hebr 3,13)
  • Tröstung (2. Kor 1,4)
  • Zurüstung (Eph 4,12)

(Wörter dazu im Grundtext sind z.B. parakaleo und noutheteo – es würde sich durchaus lohnen, die Bedeutung dieser Wörter tiefer zu studieren, aber da der Artikel nicht zu lang werden soll, verzichte ich hier darauf.)

Das ist es, was geschehen soll, wenn Christen sich treffen. Ich denke, man kann dies alles sehr gut mit dem Wort Erbauung zusammenfassen (1.Kor 14,26). Insbesondere wenn wir uns bewusst dafür öffnen, dann passiert es, dass Gott unter uns durch Seinen Geist und Sein Wort diese Wirkungen schenkt.

Christen sind keine Einzelkämpfer. Es gibt nichts Besseres, als gemeinsam füreinander einzustehen, aber das kann z.B. der Sonntagsgottesdienst nicht bzw. nur sehr schwer und bedingt leisten, das geht nur durch Rechenschaft.

Ich sage damit nicht: Du musst durch Rechenschaft ein besserer Christ werden. Im Gegenteil, Rechenschaft, das hat auch viel mit Demut zu tun. Ich muss hier und heute bekennen: Ich hab es nötig, dass Andere nach mir schauen, ich brauche Leute, die sich um mein geistliches Wohl sorgen. Ich habe es nötig, dass ich sogar von Zeit zu Zeit an die Wahrheiten erinnert werde, die ich in diesem Artikel weitergebe. Ich habe es absolut nötig, dass ich liebevoll Rechenschaftsfragen gestellt bekomme – Fragen, die mir helfen, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Jesus hat Seine Jünger sehr stark durch Fragen gefördert. Wir lesen immer wieder davon, wie Er sie durch Fragen zum Nachdenken über Sich und über sie selbst herausforderte (z.B. Mt 16,15). Da können wir von Ihm lernen, indem wir uns auch gegenseitig herausfordernde Fragen stellen.

  • Wie geht´s dir eigentlich mit Jesus, bist du noch in der ersten Liebe? (Offb 2,4) Wie geht es dir damit, Gott zu lieben? (Mt 22,36-38)
  • Was heißt es, andere Menschen zu lieben in deinem täglichen Leben? (Mt 22,39)
  • Was möchtest du im nächsten halben Jahr von Jesus lernen? (Joh 13,15)
  • Liest du eigentlich deine Bibel? Was nimmst du daraus mit? (Jak 1,22)
  • Welche Sünde umstrickt dich gerade heftig? (Hebr 12,1)
  • Was hast du aus der letzten Predigt mitgenommen? (Mt 7,24)
  • Wie geht es dir damit, anderen Menschen von Jesus zu erzählen? (Mt 10,32)
  • Welche Menschen machst du gerade zu Jüngern? (Mt 28,18-20)
  • Wie gehst du mit deiner Zeit um? (Eph 5,16)
  • Was hat Gott dir in letzter Zeit aufs Herz gelegt zu tun? (2. Kor 8,16)
  • Ist Gebet gerade Lust oder Pflicht für dich? (1. Thess 5,17)
  • Welche Sorgen trägst du mit dir herum und solltest du bei Christus ablegen? (1. Petr 5,7)

Diese Fragenliste könnte man immer weiter fortsetzen. Es geht dabei nicht darum, dass man in ein ungesundes Selbstreflektieren hineinkommt, sondern dass man immer mehr Anteil an Gottes Perspektive auf sein Leben gewinnt. Diese Fragen dürfen nur aus der Perspektive unserer radikalen Sündhaftigkeit, der übermäßigen Gnade Gottes und der Ehre Gottes gestellt und bedacht werden. Diese Fragen sollen dazu dienen, uns immer wieder anhand von Gottes Wort als einzig verbindlicher Richtschnur für unser Leben zu messen, sodass wir in die Buße kommen, wo wir merken, dass unser Denken, unsere Handlungen noch viel Veränderung brauchen und dann Gott auf Knien um Gnade bitten, dass Er uns Christus ähnlicher macht, uns heiligt.

Nächsten Sonntag geht es weiter mit Teil 2.

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