Sturz

von Manuel Sagert
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18. April 2019: Ich bin seit einigen Tagen in England in North Coast und besuche mit meinem Bruder meinen anderen Bruder, der für ein Jahr am College von Ethnos360 als Kindergärtner arbeitet. Das „Auf-der-linken-Seite-fahren“ fühlt sich irgendwie falsch an (ich bin froh, dass ich nicht selbst fahren muss), mit der Sprache komme ich leidlich klar und vom Land an sich habe ich noch nicht wirklich viel gesehen. Das soll sich heute ändern. Unser Tagesplan sieht für heute einen Besuch des Peak Districts vor, einer der schönsten Nationalparks im ganzen Land, so sagt man.

Dass dieser Besuch mein Leben nachhaltig und tiefgreifend verändern würde, wäre mir an dem Tag niemals in den Kopf gekommen. Zu beschäftigt war ich mit dem Betrachten der schönen Landschaft, dem Wandern und den guten Gesprächen mit meinen Brüdern. Doch dann kam dieser eine Felsen. Ich meine, natürlich kam nicht der Felsen zu mir, sondern ich zu ihm, aber irgendwie sagt man das so. Wir waren ganz oben auf einem kleinen Berg und betrachteten das schöne England mal von oben. Da fiel mir dieser eine Felsen auf. Er schien hervorragend geeignet zu sein, um ihn hoch zu klettern. Viele Kanten, um sich festzuhalten, genügend Tritte für die Füße, raues Gestein und schön senkrecht. Ich verschwendete kaum Gedanken über die Risiken, die das Klettern ohne Sicherung mit sich bringt und sah mich in Gedanken schon oben auf dem Felsen stehen. Ich würde eine weitere Herausforderung gemeistert haben und könnte stolz meinen Boulderkollegen von dieser Leistung berichten. Denn als begeisterter Boulderer (Klettern ohne Sicherung in geringer Höhe) sieht man alles als Herausforderung.

Gedacht, getan. Trotz aller Warnungen meiner Brüder kletterte ich los. Ohne Kletterschuhe, Sicherung oder Helm natürlich. So eine spontane Aktion war eigentlich nicht geplant.

Die ersten sieben bis acht Meter waren kein Problem, ich hatte richtig Spaß daran, diesen Felsen hochzuklettern. Doch dann kam der Moment, der mein Leben verändert hat. Ich kam nicht weiter! Ich hatte ca. 10 von 11 Metern geschafft und hatte das Ziel schon in fast greifbarer Nähe, als ich keinen Griff mehr für meine Hand fand. Der Felsen war oben sehr glatt, es gab keinen Vorsprung, kein Loch und irgendetwas anderes, woran ich mich weiter hätte hochziehen können. So hing ich nun, 10 Meter über dem Boden, mit einer Hand an einer schmalen Leiste, mit den Füßen auf kleinen Vorsprüngen und konnte weder vor noch zurück. Wer schon einmal geklettert ist, weiß, dass die Kraft in den Fingerspitzen eher gering ist und selbst nach vielen Monaten Training nach einigen Minuten die Finger verlässt.
Für mich gab es in dem Moment nur einen Ausweg: Da ich nicht fliegen kann, musste ich fallen, beziehungsweise springen. Ich stieß mich von der Wand ab, was wohl mehr oder weniger unbewusst geschah und fiel die ganzen 10 Meter.

Ich mache einen zeitlichen Sprung und beginne mit dem, was ich eigentlich mit diesem Artikel vorhabe (es würde mich noch einige Seiten kosten, um zu berichten, wie ich vom Berg ins Krankenhaus kam und so weiter).

Ich kann zwar von der Wand, aber nicht aus Gottes Plan fallen!

Nachdem ich mit dem Heli ins Krankenhaus gebracht worden war und nach und nach operativ versorgt wurde (meine Knochen im linken Bein und mein vierter Lendenwirbel waren komplett zertrümmert), musste ich natürlich viel über meine Situation und meine Dummheit nachdenken, die mich in diese Situation gebracht hatten. Gott lenkte meine Aufmerksamkeit auf den Psalm 139, den ich daraufhin so gut wie jeden Tag in den drei Wochen las. Für mehr Bibellese reichte meine Konzentration aufgrund der starken Schmerzmittel nicht aus.

Vor allem der Vers 16 war für mich ein großartiger Trost. Dort steht:

„Deine Augen sahen mich schon als ungeformten Keim, und in dein Buch waren geschrieben alle Tage, die noch werden sollten, als noch keiner von ihnen war.“

Mir wurde immer deutlicher bewusst, dass auch diese Dummheit von mir, dieser Sturz und seine körperlich einschneidenden Folgen, also diese ganze Situation im Plan des weisen Gottes enthalten waren, bevor von mir überhaupt die Rede war. Und diese Tatsache, kombiniert mit dem Wissen, dass Gott mein liebender Vater ist, der mit Allem in meinem Leben etwas Gutes vorhat, bewirkte und bewirkt immer noch eine tiefe Ruhe und Zuversicht in mir. Ich weiß bis heute nicht, was Gottes Ziel damit ist, auch wenn ich seitdem schon viel gelernt habe. Und umso länger es her ist, umso mehr spüre ich die langfristigen und unschönen Folgen des Sturzes und doch weiß ich eins sicher: Mein Vater im Himmel macht keine Fehler. Sein Plan für mein Leben ist anders als meiner. Aber Gott ist ungleich weiser als ich und strebt außerdem ein höheres Ziel, als ich es in meiner Ichbezogenheit häufig tue. Darum kann ich mich ruhig Seiner Führung anvertrauen. Ich darf voller Ruhe in die Zukunft blicken; denn ich kann zwar fallen, aber niemals aus Seinem Plan.

Ich weiß nicht, wer du bist und in welchen Situationen du im Moment steckst. Mit hoher Wahrscheinlichkeit bist du nicht gerade vom Felsen gefallen und hast nur dank Gottes Gnade überlebt. Aber vielleicht bist auch du gerade in einer Situation, die dein Gottvertrauen herausfordert. Sei es eine körperliche Krankheit, eine emotional belastende Situation, eine verzwickte Beziehung, eine vergeigte Prüfung, eine schwere Familiensituation, eine Kündigung des Arbeitsvertrages oder was auch immer dich belastet. Deshalb vergiss nie: Gott hat einen Plan mit deinem Leben und auch diese Situation ist in seinem Plan enthalten und wird zu einem guten Ziel führen. Denn denen die nach seinem Vorsatz berufen sind, dienen alle Dinge zum Besten (vgl. Röm 8,28).

Ich weiß, es ist nicht immer einfach, Gott zu vertrauen, Seiner Führung zuzustimmen und in Ihm zu Ruhen. Glaub mir, ich weiß wovon ich rede. Aber Gott ist treu und Seine Verheißung steht felsenfest. Und selbst wenn es so scheint, als würde gerade dein ganzes Leben zerbrechen und du dich fragst: „Warum?? Gott warum? Was hast Du damit vor???“, darf ich dir sagen, dass ich zwar nicht weiß warum, aber das Gott das Beste damit vorhat. Spätestens in der ewigen Herrlichkeit werden wir den Grund erfahren.

Gott will, dass die Freude an Ihm alles andere überwiegt.

Es ist seit dem Unfall schon mittlerweile fast ein Jahr vergangen und rückblickend kann ich sagen, dass Gott mich in dieser Zeit durch eine harte, aber gute Schule geschickt hat. Oft habe ich darüber nachgedacht, was wohl aus Gottes Perspektive der Grund für all das gewesen ist. Das ist eine Frage, die wir uns wahrscheinlich alle manchmal stellen und auf die es oft keine eindeutige Antwort gibt. Aber es ist eine Frage, über die es sich lohnt nachzudenken, da Gott mit jeder Situation in unserem Leben etwas vorhat. Eine von vielen Antworten war, dass Gott mich durch diese Situation dazu bringen wollte und will, dass ich meine Freude in Ihm suche und finde. Lasst mich kurz erklären, wie ich darauf komme:

Wie schon erwähnt war ich bis dato ein begeisterter Boulderer. Ich fing etwas mehr als ein Jahr vor dem Unfall mit diesem Sport an und war sofort hin und weg. Noch nie hatte mich eine Sportart so gepackt und fasziniert wie das Bouldern. Ich war jede Woche mindestens zweimal in der Halle, wurde schnell besser, träumte manchmal nachts davon und kletterte vor dem Schlafen gehen in Gedanken die Routen, die ich am Tag vorher nicht gepackt hatte. Mit meinen Freunden, die bis heute noch bouldern, redeten wir ständig über unsere Erfahrungen und ich merkte damals gar nicht, wie ich meine Freude ein Stück weit vom Bouldern abhängig machte. Außerdem hatte ich vor einem halben Jahr meine Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger beendet, hatte einen guten Job auf einer Intensivstation und bekam gutes Geld. Insgesamt gab es einige Dinge in meinem Leben, die um die Freude an Gott konkurrierten und mich von Ihm ablenkten.

Gott will, dass wir uns zuallererst und am meisten an Ihm freuen und fordert uns in Seinem Wort immer wieder auf uns in dem Herrn zu freuen (vgl. Phil 4,4), Ihn von ganzem Herzen, mit ganzer Seele und ganzem Verstand zu lieben (Dtn 6,5) und in allem vor allem Ihm die Ehre zu geben. Und manchmal gebraucht Er drastische Methoden, um uns darauf aufmerksam zu machen. Mir hat Er meinen Lieblingssport, meine Gesundheit, meinen Job und meine sichere Zukunft genommen, um mir zu zeigen, dass die wahre Freude unabhängig von den Umständen und nur in Ihm zu finden ist. Damit will ich auf keinen Fall sagen, dass man keinen Sport machen sollte oder Ähnliches. Ganz im Gegenteil! Ich empfehle das Bouldern jedem weiter.

Was ich damit sagen will, lässt sich vielleicht am besten als Frage formulieren: Wenn Gott dir heute alles oder Vieles von dem nehmen würde, was du liebst, wärst du dann immer noch glücklich, zufrieden und voller Freude in Gott?! Wie oft lassen wir uns ablenken von der wahren Freude, die in Gott zu finden ist und suchen bewusst oder unbewusst unsere Freude in anderen Dingen, Personen, Hobbies oder Ähnlichem?

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2 Kommentare

Benny 26. März 2020 - 15:26

Sehr bewegender Bericht. Danke, Manuel!

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Katharina 2. April 2020 - 09:00

Sehr schön geschrieben… 🙂

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